NORSA

WERKSTATTGESPRÄCH EINE WELT VOM 07.12.2004

Werkstattgespräche Eine Welt (WEW)
7. Dezember 2004, 20-22 Uhr
Journalisten und Entwicklungshelfer - gemeinsam für eine “bessere Welt”?
KOMED, MediaPark 7, Melanchthon Akademie (Raum 311), 50670 Köln
mit Elias Bierdel, Cap Anamur, und Bettina Rühl, freie Journalistin
Moderation: Rüdiger Siebert

Es sind oft die Kriegs- und Katastrophengebiete dieser Welt, in denen Entwicklungshelfer und Journalisten aufeinander treffen. Die einen wollen das Elend lindern, die anderen durch ihre Berichterstattung dazu beitragen, dass die Opfer Hilfe erfahren. Lange Zeit haben professionelle Helfer und Berichterstatter gegenseitig voneinander profitiert. Gibt es ein gemeinsames Ethos, welches Entwicklungshelfer und Journalisten verbindet?
Elias Bierdel kennt sich auf beiden Seiten aus. Der frühere ARD-Korrespondent, der u.a. aus dem Kosovo-Krieg berichtete, wurde danach Entwicklungshelfer und Vorsitzender beim Notärzte-Komitee Cap Anamur.
Die auslandserfahrene freie Journalistin Bettina Rühl (Foto links mit Moderator Rüdiger Siebert) sieht ihre Aufgabe zunächst einmal darin, ungeschminkt über Tatsachen zu berichten. In ihrem Radio-Feature „Zwischen neuen Fronten. Humanitäre Hilfe im Konflikt“ schildert sie u.a. das Neben- und Miteinander von Journalisten, Entwicklungshelfern und Militär.
Deutlicher als andere Kriege führte der Irakkrieg vor Augen, dass viele Journalisten wie humanitären Helfer militärisch „eingebettet“ arbeiten. Ist dies die moralische Bankrott-Erklärung?

Tendenz der Abschottung
Interview mit Elias Bierdel über Medien, Politik, Militär und Flüchtlinge
Von Markus Dufner


Elias Bierdel (43) berichtete als ARD-Hörfunkkorrespondent über den Kosovo-Krieg und wechselte dann zu Cap Anamur. Im Dezember 2002 wählte ihn die Organisation zum Nachfolger von Rupert Neudeck. Im  Juli diesen Jahres wurde Bierdel von den italienischen Behörden festgenommen,  nachdem er afrikanische Schiffbrüchige südlich der Mittelmeerinsel Lampedusa an Bord des Rettungsschiffs „Cap Anamur“ genommen und sie im italienischen Hafen Porto Empedocle an Land gebrachte hatte. Im Oktober wurde Bierdel „wegen interner Gründe“ als Vorsitzender der Hilfsorganisation abgewählt.

Dufner: Herr Bierdel, wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Medien und humanitärer Hilfe?
Bierdel: Als Journalist sucht man sich jemanden, der dort arbeitet, wo es interessant ist für die Berichterstattung. Die Schlagzeilen werden von der Nothilfe geliefert. Als Mitarbeiter von Cap Anamur habe ich nie Medienvertreter angerufen, geschweige denn ihnen eine Reise bezahlt. Mir ist es lieber, Journalisten fahren aus eigenem Interesse mit.
Dufner: Man hat Ihnen aber diesen Sommer im Zusammenhang mit der Rettung Schiffbrüchiger im Mittelmeer das genaue Gegenteil vorgeworfen: Das dreiwöchige Flüchtlingsdrama sei im Interesse einer Medieninszenierung bewusst in die Länge gezogen worden.
Bierdel: Es ist interessant, dass ausgerechnet die Medien mir dies vorwerfen. Ich habe mich nie an Inszenierungen beteiligt. Wenn andere einen Popstar in den Urwald einfliegen und er mit den Stammeshäuptlingen tanzt, ist es deren Sache. Ich meine, wir tun gut daran, uns auf eine kleine, schlichte Aufgabe zu konzentrieren: Die Rettung von Menschen. Die Skandalisierung einer angeblichen „Medieninszenierung“ diente vor allem dazu, dem schwerwiegenderen Thema auszuweichen: den tödlichen Konsequenzen der Abschottungspolitik an der EU-Außengrenze.
Dufner: Aber für Hilfsorganisationen geht es ja letztlich darum, an möglichst viele Spendengelder zu kommen. Wer kann dafür besser trommeln als das Fernsehen?
Bierdel: Das ist die Macht der Medien, dass sie Spenden generieren können. Sie drohen auch, wenn sie nicht die Geschichte bekommen, die sie wollen. Aber ich kann Journalisten nicht garantieren, dass sie die Vorgaben, die sie von ihren Redaktionen bekommen, auch erfüllen.
Dufner: Ist es nicht die Verpflichtung des reichen Nordens, die Armut im Süden zu lindern?
Bierdel: Wir müssen den Menschen in Afrika dankbar sein, dass sie sich jahrzehntelang als Objekt unserer Güte dargeboten haben. Es ist ja gar nicht so einfach, hierzulande gut zu sein. Es gibt bei uns eine breite Unterstützung dafür, die armen Menschen in Afrika zu streicheln. Ich halte dies auch für ein politisches Feigenblatt. Die Not in bestimmten Ländern hängt doch auch mit schlechter Politik Europas, auch der deutschen Regierung zusammen.
Dufner: Welche Forderungen haben Sie an die Politik?
Bierdel: Es gibt eine Tendenz der Abschottung auf der politischen und auf der Wahrnehmungsebene. Die Festung Europa soll gegenüber Migranten dicht gemacht werden. Die Politiker müssten sich zunächst einmal fragen: Welche Verantwortung hat Europa an den Verhältnissen in bestimmten Regionen? Warum treiben wir die Länder Afrikas weiter in die Schuldenfalle hinein? Warum erheben wir Strafzölle auf afrikanische Produkte? Viele Bürgerkriege werden doch in Gang gehalten, damit die Strukturen so bleiben, wie sie sind. Oder es wird internationale Hilfe in Länder reingepresst, wo sie von der Bevölkerung gar nicht gewollt wird.
Dufner: Beim Irakkrieg war viel von „eingebetteten Journalisten“ die Rede – also Medienvertretern, die eine Invasion mit und im Schutz der kämpfenden Truppe mitmachen. Haben auch Hilfsorganisationen ein so enges Verhältnis zum Militär?
Bierdel: Es gibt Versuche, der großen weltpolitischen Akteure, auch die Entwicklungshilfe einzubetten. Ich habe im Irak selber die Erfahrung gemacht, dass Militärs darüber entscheiden wollten, welche Organisationen vor Ort arbeiten. Ich habe daraufhin gesagt: „Ihr seid nicht unsere Ansprechpartner.“ Da hat die US-Armee gedroht, unsere Kliniken zu schließen. Aber es blieb bei der Drohung.
Dufner: Noch einmal zurück zu der Medienhetze gegenüber Ihnen. Meinen Sie, man hat Ihnen übel genommen, dass sie als ehemaliger Journalist zur humanitären Hilfe gewechselt sind?
Bierdel: Nein, das glaube ich nicht. Aber ich war schon überrascht, mit welcher Häme und Schärfe die deutschen Medien über mich herzogen. Bei den italienischen Medien gab es diese Kampagne nicht.
Dufner: Herr Bierdel, seit 1. Dezember sind sie nicht mehr bei Cap Anamur unter Vertrag. Was machen Sie jetzt?
Bierdel: Gegen mich läuft derzeit noch ein Ermittlungsverfahren der italienischen Behörden. Das warte ich ab und nütze die Zeit zur Aufklärungsarbeit. Afrika ist nicht arm, Afrika ist unendlich reich. Wir sind die Junkies, die sich dort das holen, was wir brauchen. Unsere Verantwortung ist, an die Folgen unseres Verhaltens zu denken.

> Video-Tagebuch von Bord der "Cap Anamur"
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Ende eines PR-Managers (taz)
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Cap Anamur trennt sich von Vorsitzendem Bierdel (www.tagesschau.de)
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Cap Anamur trennt sich von Chef Bierdel (www.spiegel.de)
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Eilabschiebung empört Politiker in Berlin (taz)

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