NORSA

WERKSTATTGESPRÄCH EINE WELT VOM 05.10.2004


Ausschnitte vom 1. WEW “Wenn Journalisten reisen”

5. Oktober 2004, 20-22 Uhr
Wenn Journalisten reisen
KOMED, MediaPark 7, Melanchthon Akademie (Raum 311), 50670 Köl
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Länder, Menschen und die Verhältnisse vor Ort lernt man am besten durch Reisen kennen. Auch  Journalistinnen und Journalisten reisen – allein, auf eigene Faust, oder in einer organisierten Gruppe. Die meisten Journalisten könnten sich teure Reisen in ferne Länder gar nicht leisten, wenn nicht irgend jemand etwas zu Reisekosten, Unterkunft und Verpflegung beisteuern würde. Wer tut dies? Wer bietet komplett durchorganisierte Journalistenreisen an? Bezweckt der Geldgeber immer eine positive Berichterstattung? Sind Journalisten, die an derartigen Reisen teilnehmen, schon von vorn herein korrumpiert?
Nach einem Input von Veranstaltern von Journalistenreisen und eines Journalisten, der an organisierten Reisen teilgenommen hat,  wollen wir unsere – unterschiedlichen – Erfahrungen austauschen und diskutieren
Foto (oben): Aufmerksam verfolgen die Referenten Hilde Herzog und Thomas Gesterkamp (rechts) die Ausführungen ihres Kollegen Stefan Kreutzberger.

Kurzbericht vom 1. WEW
Die Resonanz auf das 1. Werkstattgespräch Eine Welt "Wenn Journalisten reisen" war sehr positiv. Nach pointierten Impulsvorträgen und Thesen der drei Referenten Hilde Herzog, Stefan Kreutzberger und Thomas Gesterkamp entwickelte sich eine lebhafte Diskussion in der Runde. Fast 20 Journalisten, Fotografen, Filmemacher, TV-Redakteure und Referenten von Hilfsorganisationen waren gekommen und beteiligten sich mit Fragen, Gegenthesen und eigenen Erfahrungen.
Sofern es überhaupt ein Fazit aus der Vielfalt der Beiträge zu ziehen gibt, könnte es dieses sein:
Organisierte und partizipative Journalistenreisen bieten gerade für freie Journalisten ein kostengünstige Möglichkeit, im Ausland zu recherchieren und an (kompetente) Gesprächspartner heranzukommen.

Thesen und Fragen
1. Wer Gutes tut, will dass darüber berichtet wird
2. Hilfsorganisationen sponsern reisen, damit eine Berichterstattung über ihre Arbeit überhaupt stattfindet.
3. Durch die Zusammenstellung des Programms leitet der Reiseveranstalter die Journalisten ("embedded journalism").
4. Freie Journalisten sind besonders gefährdet, was interessengeleitete Berichterstattung betrifft.
5. Journalisten müssen sich auf Auslandsreisen gut vorbereiten / in Seminaren gut vorbereitet werden ("Wer sich im Ausland nicht bewegen kann, hinterlässt möglicherweise verbrannte Erde.")
6. Berichterstattung von gesponserten Reisen sollte am besten nur in den Publikationen des Sponsors stattfinden.
7. Ist es erlaubt, den Veranstalter einer Reise im Nachhinein zu skandalisieren?

Diskussionsforum
Das Forum, an diesen Thesen weiterzudiskutieren, ist eröffnet. Richten Sie Ihre Emails bitte an DWJNkoelnbonn@web.de (Kennung: "Wenn Journalisten reisen"). Ich stelle alle Beiträge in der Reihenfolge ihres Eintreffens auf der Website WEW (Werkstattgespräche Eine Welt) ein.

Referenten:
Hilde Herzog, Pressereferentin der Deutschen Welthungerhilfe
geb. 1952 in Köln, freie Journalistin
seit 1982 Hörfunk, Fernsehen, Printmedien
seit 1986 zahlreiche Features und Reportagen aus Südostasien
Ausland: Entwicklungspolitik, Umwelt, Reise und Tourismus, Menschenrechte, Religion, Wirtschaft und Soziales
Inland / Europa: Migration, Ausländerpolitik, Bevölkerungspolitik, Seniorensozialpolitik, Sozialwirtschaft, Reise und Tourismus
für den Hörfunk u.a.: Auslandsadoption und Babyhandel: "Fremd aber mein"
Sextourismus, Heiratsvermittlung und Frauenhandel: "Der Mann meiner Träume ist er nicht"

Stefan Kreutzberger, Vorsitzender Connecting Worlds e.V.
43 Jahre alt, lebt und arbeitet in Köln. Nach Berufserfahrung als Fachtrainer in der Erwachsenenbildung seit 10 Jahren freier Journalist mit den Schwerpunktthemen Verbraucherschutz, Umwelt- und Entwicklungspolitik. Leitete als Projektkoordinator ein zwölfköpfiges Journalisten- und Autorenteam zur Erstellung der Dokumentation "Weltweite Projekte International" der EXPO 2000. Seit 1997 Organisation von Pressereisen nach Nepal, in die Türkei und nach Brasilien und Chile (im Auftrag der Wissenschaftspressekonferenz). Seit 2001 Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins ConnectingWorlds, der Experten- und Journalistenreisen zu Umwelt- und Sozialprojekten in aller Welt organisiert. Reisen nach Cuba, Sri Lanka, Südafrika, Namibia, Ecuador und Costa Rica. In Zusammenarbeit mit dem Reiseveranstalter avenTOURa aus Freiburg entsteht z.Z. das spezielle Reisesegment "Fairtours" zu Themen des Fairen Handels.

Thomas Gesterkamp, freier Journalist und Buchautor
geboren 1957, lebt in Köln und ist Vater einer Tochter. Studium der Soziologie, Pädagogik und Publizistik in Hamburg und Münster. Zwei Jahre Redakteur, dann Mitbegründer eines Kölner Journalistenbüros. Promotion an der Universität Köln über “Männliche Arbeits- und Lebensstile in der Informationsgesellschaft”. Beiträge im Hörfunk und in Printmedien, daneben Tätigkeit als Referent, Hochschuldozent, Moderator und in der Weiterbildung.
Buchveröffentlichungen: "Hauptsache Arbeit? - Männer zwischen Beruf und Familie" (mit Dieter Schnack), Rowohlt Verlag, Reinbek 1996, Neuauflage als Taschenbuch 1998.
“Vater, Sohn und Männlichkeit” (u.a. mit Wassilios Fthenakis), Tyrolia Verlag, Innsbruck/Wien 2001.
“Gutesleben.de - Die neue Balance von Arbeit und Liebe”, Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2002.
“Die Krise der Kerle - Männlicher Lebensstil und der Wandel der Arbeitsgesellschaft”, LIT-Verlag, Münster 2004.
Zahlreiche Texte in Tages- und Wochenzeitungen sowie in Sammelbänden und Fachzeitschriften;
Auslandsberichterstattung über Südafrika und Nepal
über 200 Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen im deutschsprachigen Raum.

Ausschnitte aus dem WEW “Wenn Journalisten reisen”
NORSA, 5. Oktober 2004
Wer Gutes tut, will dass darüber berichtet wird
“Kritische Berichte über die Welthungerhilfe sind erlaubt”
Die Welthungerhilfe ist eine der größten privaten Hilfsorganisationen in Deutschland. Seit 1962 hat sie 3400 Selbsthilfeprojekte, 920 Kinder- und Jugend-Projekte und 600 Nothilfeprogramme in 70 Ländern gefördert.
Wer so viel Gutes tut und auf Spendengelder angewiesen ist, will natürlich, dass darüber berichtet wird. Deshalb lädt die Welthungerhilfe – wie viele andere Hilfswerke auch – immer wieder Journalisten zu Projektreisen ein, übernimmt die Organisation, trägt die Flug- und Hotelkosten, vermittelt Interviewpartner und stellt Dolmetscher. Von den rundum betreuten Journalisten wird erwartet, dass sie ihre Beiträge bei Presse, Funk und Fernsehen unterbringen und für die Hauszeitung „Welternährung“ schreiben. Darin ist zum Beispiel über ein Straßenbauprojekt im Kongo zu lesen:
 „Von der Arbeit der Welthungerhilfe profitieren in der Region rund 250.000 Familien, das sind etwa 1,5 Millionen Menschen.“ Den Programm-Manager für Kongo zitiert der Journalist mit den Worten: „Wir genießen bei den Menschen ein hohes Ansehen.“ Die Vereinten Nationen, die für die Sicherheit im Kongo verantwortlich sind, kommen in dem Bericht dagegen schlecht weg: „Das Ansehen der UN nimmt ab.“
Natürlich seien auch kritische Berichte über die Welthungerhilfe erlaubt, bestätigt Hilde Herzog, Pressereferentin der Bonner Organisation.


“Fremdgesteuert oder unabhängig? Wenn Journalisten reisen”
in: Töne - Texte - Bilder. Medienmagazin auf WDR 5
Sonntag, 10. Oktober, 18.05 Uhr

Mehrere Organisationen in ein Programm einbinden
Connectiong Worlds organisiert Reisen zu beispielhaften Umwelt- und Sozialprojekten
(NORSA) Um gar nicht erst in den Verdacht zu kommen, gesponsert und deshalb nicht mehr ganz frei zu sein, entscheiden sich manche Journalisten, die Kosten einer Reise lieber selber zu tragen. Gefragt sind deshalb preiswerte Exkursionen. Die vermittelt der gemeinnützige Verein Connecting Worlds. Reiseziele sind beispielhafte Umwelt- und Sozialprojekte in aller Welt. Connecting Worlds achtet darauf, jeweils mehrere Organisationen in ein Programm einzubinden, betont der Vereinsvorsitzende Stefan Kreutzberger.

Bezahlte Berichterstattung?
Spielregeln zwischen Veranstalter und Journalist
(NORSA) Über welche Themen berichtet wird, bestimmen nicht so sehr die Journalisten, sondern die Zeitungsverlage, Hörfunk- und Fernsehsender. Im Trend liegen zum Beispiel Reportagen über exotische Urlaubsziele. So manche unterscheidet sich nur wenig von Werbespots der Tourismusbranche. Hintergrundberichte über Umwelt- und Entwicklungsthemen kommen immer weniger vor – schon gar nicht zur Prime time. Die sogenannten Elendsthemen Hunger, Armut und Krankheit sind nur in Krisenzeiten von Interesse. Vor diesem Hintergrund ist die Pressepolitik der Hilfs- und Nichtregierungsorganisationen verständlich. Sie zahlen, damit Berichterstattung überhaupt stattfindet.
Welche Spielregeln sollen zwischen Veranstalter und Journalist gelten? fragt sich Thomas Gesterkamp. “Also ist es wirklich möglich, den Veranstalter im Nachhinein zu skandalisieren, ihm in den Rücken zu fallen in dem Sinn, dass man sagt, die ganze Organisation macht eine verfehlte Politik? Da gibt´s ja so ein Austarieren.”
Sind die eigenen Bauchschmerzen zu groß, gibt es für den Journalisten halt nur eine Lösung: Gar nichts schreiben.

Skepsis gegenüber subventionierten Journalistenreisen
Ich gehöre auch eher zu den SkeptikerInnen, wenn es um subventionierte JournalistInnenreisen geht, war bei den Werkstattgesprächen leider nicht dabei und kann mich nur auf die Fragen/Thesen beziehen. Das, was ich 1997 als Ergebnis eines Workshops auf einer Tagung in Loccum festhalten konnte, scheint noch aktuell zu sein. Ein Ausschnitt: "Heute, wo das (Reisekostenerstattung) die Ausnahme ist, bleibt vielen Freien nur die (unkostenfreie journalistische Begleitung einer Politikerreise, um Recherchen an fernen Orten zu finanzieren. Von den damit verbundenen unausgesprochenen Erwartungen einer Positivberichterstattung erzählte ein Kollege. Er gehörte zum Journalistentross, der den damaligen Umweltminister Töpfer auf Staatskosten zur Nordsee-Konferenz begleitete. Als er dann einen kritischen Kommentar dazu schrieb, wurde er von der Liste der auserwählten Berichterstatter gestrichen. Wie nicht nur ethisch, sondern auch rechtlich bedenklich subventionierte Journalistenreisen sind, zeigt sich am Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts vom September 1995. Die "tageszeitung" hatte erfolgreich gegen den Regierenden Bürgermeister Diepgen geklagt, weil dieser die Zeitung nicht berücksichtigte, als er JournalistInnen zu einer Reise nach Peking einlud. Doch die Einladung von Berichterstattern zur Begleitung von Ministerreisen ist - mangels Kläger - weiterhin gang und gäbe. Das BMZ subventioniert mit ca. 130 Reisen jährlich die meisten Journalistenreisen...." (Bärbel Röben: Hauptsache verkäuflich? Vom Wa(h)renwert der Programme und vom Marktwert der politischen Kultur, in: Loccumer Protokolle. Die Inszenierung von Politik in den Medien. Die Inszenierung von Politik für die Medien, hrsg. v. Jörg Calließ, Loccum 1998, S.189)
Daraus ergeben sich für mich weiterhin folgende Fragen: Unterschiede zwischen NGO- und Politik-subventionierten Reisen? Wie viel Kritik vertragen die Sponsoren?
Wie unabhängig fühlen die reisenden JournalistInnen sich wirklich? Wie einklagbar ist das Recht auf unabhängige Berichterstattung /Gleichbehandlung der Journalistinnen(Finanzierung von Reisekosten als "unmittelbare Subventionierung von Presseorganen")?
Dr. Bärbel Röben, Journalistin und Medienwissenschaftlerin, Attendorn (12.10.04)

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