NORSA

SUDAN

Der Konflikt im Sudan ist im Kern kein christlich-muslimischer Konflikt
Von Erhard Brunn
Die Situation im Süd-Sudan erregt erneut das Interesse der Welt. Sie ist für mich der Anlass, einen Text über meinen Besuch im Süd-Sudan im Februar 2002 zu veröffentlichen, der zu seiner Zeit von keiner christlichen Zeitschrift abgedruckt wurde. Dies geschah zumindest in einem Fall mit dem indirekten Hinweis darauf, dass diese Aktion und ihre Botschaft nicht ins Weltbild der Redaktion passe.

Der jahrzehntelange Krieg im Süd-Sudan war fast Zeit seiner Existenz auch ein Streitpunkt zwischen Christen und Muslimen im Norden. Denn offensichtlich war die Haltung vieler Muslime in anderen Teilen der Welt indifferent gegenüber diesem von Muslimen ausgeübten Völkermord.

Letztlich durch die Kooperation der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) mit der Gesellschaft für bedrohte Völker auf dem Balkan entstand bei IGMG, einer der größten muslimischen Organisationen Europas, vor Jahren auch eine gewisse Sensibilität gegenüber dem Problem. So sprach im Jahre 2000 mit Philip Tartisio auch ein süd-sudanesischer Vertreter der Gemeinschaft auf dem IGMG-Europa-Treffen im Müngersdorfer Stadion in Köln.

Kurz darauf begann ich auf Einladung der IGMG als Assistent des Menschenrechtsbeauftragten der Organisation in ihrer Europazentrale in Köln tätig zu werden. Meine mir selbst gestellte Mission: Mehr Brücken zwischen dieser Organisation und der christlichen Gesellschaft zu errichten. Einige Monate später nutzte ich ein Treffen mit dem Verantwortlichen im Vatikan für den christlich-muslimischen Dialog in Afrika, Pater Chidi Denis Isizoh, eine Zusammenkunft zwischen ihm und dem IGMG-Menschenrechtsbeauftragten, damals Mehmet Dogan, zu organisieren.

Bischof Adwok: „Ein sorgfältig gepflanzter Baum wächst gut“
Als Ergebnis dieses Gesprächs ging einige Wochen später eine Erklärung Dogans an den Bischof von Khartoum. Darin gab die IGMG zu, das Problem des Süd-Sudans, in dem Muslime Täter sind, im Sinne einer globalen Verantwortung bisher zu wenig beachtet zu haben. Es wurde zudem um Unterstützung für eine christlich-muslimische Fact-Finding Mission in den Süd-Sudan gebeten, die wiederum vom Khartoumer Bischof Daniel Adwok im November 2001 positiv kommentiert wurde: “Ich bin Ihnen dankbar für Ihr Schreiben. Sie beschreiben ein Problem, das von Bedeutung nicht nur für die Menschen des Sudan ist, sondern für die ganze Welt. Ich möchte Sie in Ihrem Unternehmen sehr ermutigen und ich bin sicher, dass meine Bischofsbrüder, die im Süden arbeiten, dies auch tun werden. Bitte erwarten Sie keine schnellen Resultate über Nacht. Aber ein sorgfältig gepflanzter Baum wächst gut.“ Adwok schuf den Kontakt mit dem Bischof von Rumbek (eine der fünf Diozesen des Süd-Sudan) und Hauptstadt der Befreiungsarmee des Sudanesischen Volkes (SPLA).

Die Sinnhaftigkeit unseres Ansatzes wurde genau vor unserer Abreise auch durch einen Artikel von Rupert Neudeck in DIE ZEIT unterstrichen. Darin forderte Neudeck, der christlich-muslimische Dialog sollte sich nicht nur theologisch entfalten, sondern international auch praktische Resultate anstreben. Neudeck, langjähriger Vorsitzender des Notärztekomitees Cap Anamur, war auf einem gutem Weg zur Gründung der Organisation Grünhelme, des Friedenscorps junger christlicher und muslimischer Deutscher.

Allerdings erwies sich unser eigenes Projekt als schwer vermittelbar sowohl gegenüber deutschen muslimischen als auch christlichen Instanzen. So flogen unsere vierköpfige Delegation am 18. Februar 2002 von Hamburg nach Ostafrika. In Nairobi trennten sich unsere Wege. Zwei Mitglieder der Fact-Finding Mission sollten nach Uganda gehen.  Dort gibt es schon viele Erfahrungen im internationalen christlich-muslimischen Dialog. Zwei Mitglieder sollten in den Süd-Sudan. Fatih Yildiz vom Bündnis Islamischer Gemeinden und ich hatten die Aufgabe, ind den Süd-Sudan zu reisen und dort Kurban, Hilfsgüter in Form von Schlachtvieh, zu bedürftigen Christen und Muslimen zu bringen. Darüber hinaus sollten wir Informationen zur Menschenrechtslage im Süd-Sudan sammeln.
 
In Nairobi trafen wir Bischof Mazzolari in seinem Büro und konnten feststellen, dass er uns wirklich logistisch voll unterstützen würde. Auch beim New Sudan Council of Churches war man dazu bereit. Ein Besuch beim All African Council of Churches stieß uns gerade zu auf die Dialogstrukturen auf christlicher Seite. Reverend Arnold C. Temple, den ich von einem Seminar in der evangelischen Akademie Loccum kenne, begrüßte unsere Aktivität ebenfalls sehr, genauso wie der Chef des "Projekts für christlich-islamische Beziehungen in Afrika (PROCMURA), Dr. Mbillah. PROCMURA soll vor allem die Arbeit der evangelischen Kirchen mit dem Islam in Afrika koordinieren und fördern.

Muslime des Süd-Sudan fühlen sich von Khartoum unterdrückt
Zum anderen waren wir bemüht, in Kontakt mit repräsentativen Organisationen des Islam im Land zu kommen. In den meisten Büros war leicht festzustellen, dass hier saudisches Geld hinein floss. Wir besuchten u.a. die Islamic Foundation, dann auch das Supreme Council of Kenya Muslims. Mehrmals waren wir auch in der Hauptmoschee Nairobis und sprachen mit Leuten mit Sudan-Kenntnissen. Erst spät bekamen wir Kontakt mit dem Vorsitzenden des New Sudan Council of Muslims. Wie unsere eigene Fahrt in den Süd-Sudan bestätigen sollte, fühlen sich auch die Muslime des Süd-Sudan von der Regierung in Khartoum unterdrückt. In Nairobi haben sie eine Interessensvertretung gegründet, die aber kaum Finanzen hat. Der Vorsitzende des New Sudan Council und andere Muslime konnten uns einflussreiche muslimische Kontaktpersonen in Rumbek nennen, die uns dort helfen würden. Wir stellten fest, dass sogar zwei Mitarbeiter des Bischofs aus muslimischen Familien in Rumbek stammen, aber konvertiert waren.

Am 22. Februar 2002 flogen wir mit Bischof Mazzolari zusammen in den Süd-Sudan nach Rumbek. Dort wohnten wir mit örtlichen Pfarrern zusammen und hatten für mehrere Tage einen der Fahrer plus Wagen der Diözese zur Verfügung. Die Stadt ist vor fast zwanzig Jahren beim Einmarsch der Regierungssoldaten weitgehend zerstört worden. 1997 wurde sie von der SPLA zurück erobert, aber nur in bescheidenem Maße wieder aufgebaut. Der Kontakt mit den örtlichen Muslimen war schnell hergestellt. In Rumbek und Umgebung soll es angeblich mehr als 2400 Muslime geben, für die es aber keine muslimische Struktur gibt. Auch die Moschee wurde, sagte man uns, kurz nach dem Einmarsch von (muslimischen!) Regierungssoldaten zerstört.

„Wir wollen die Scharia nicht“
Auch die lokalen Muslime waren zu der Zeit bereits mit in den Busch geflohen und beteiligten sich an der Bekämpfung der Truppen der Zentralregierung. Als wir bei unserer einzigen Fahrt ins Umland an einer Reihe von Autowracks vorbeikamen, wurde zur allgemeinen Befriedigung der anwesenden Muslime die Geschichte erzählt, wie man die Regierungstruppen an diesem Punkt
angegriffen und niedergemacht habe. Einer der uns begleitenden jüngeren Muslime war früher selbst Offizier der SPLA und einer ihrer führenden lokalen Repräsentanten in Rumbek. Zwei der Ältesten behaupten, sie hätten Verwandte, einen Bruder und einen Sohn, im Kabinett in Khartoum. "Es ist natürlich furchtbar, dass dieser Krieg durch die Familien, auch die muslimischen, geht. Aber wir wollen die aus dem Norden und die Scharia nicht."
 
Fatih Yildiz war nach Aussagen unserer Begleiter der erste Muslim von außerhalb, der sich seit 19 Jahren für ihr Schicksal interessierte. Dementsprechend wurde er mit Anträgen für eine ganze Reihe muslimischer Wiederaufbauprojekte eingedeckt. Z.B. der Wiederaufbau der Moschee mit diversen anderen Funktionen und einem angestrebten Beschäftigungsstand von 15 Leuten am Ende. Uns wurde gesagt, die Muslime würden bis heute entweder allein oder in kleinen Gruppen zu Hause beten oder sich unter einem großen Baum treffen, um zusammen zu beten. Sehr irritierend für Yildiz war aber, dass die Muslime von Rumbek noch nicht mal den kleinsten Ansatz gemacht zu haben schienen, eine Übergangslösung für die Moschee einzurichten, aber exakte Pläne für den Neubau hatten.
 
Die Muslime in Rumbek befinden sich in einem mehrfachen Dilemma: Angesichts dessen, dass die Regierung in Khartoum ihren Krieg angeblich im Namen des Islam führt, sind sie in der Defensive, auch wenn sie sich selbst am Kampf gegen diese Regierung beteiligen. Und: Da die anderen muslimischen Regierungen lieber den Krieg im Süd-Sudan ignorieren und ihre Beziehungen zu
Khartoum pflegen, können sie auch keine Hilfe aus der muslimischen Welt erwarten. Die Christen dagegen bekommen Hilfe von außen. Längst ist z. B. eine große Kirche wieder errichtet. Und Bischof Mazzolari akzeptiert wohl noch nicht mal, dass es überhaupt richtige Muslime in der Stadt gibt. Er spricht nur von "those who claim to be Muslims".

Wir besuchten über drei Tage viele muslimische Teile der Stadt. Als Zeichen der Verständigung wurden aber auch hier oft einzelne Christen bei der Fleischverteilung (15 Bullen) mit eingeschlossen. In einer Siedlung lebten auch ehemalige Regierungssoldaten, die sich entschieden hatten, nicht mehr in den Norden zurückzukehren. Am Ende gingen fünf Bullen in die katholische Diözese, und der Generalvikar  nahm an der Übergabezeremonie teil.

Die zwei Camps für ehemalige Kindersoldaten der SPLA etwas außerhalb von Rumbek waren leer. Der Generalvikar erzählte mir, dass er auch bei der SPLA zweimal inhaftiert war. Das letzte Mal sei es 1996 gewesen, als die SPLA aus einer katholischen Schule viele Jungen zwangsrekrutieren wollte und er und ausländische Missionare sich dagegen wehrten. Internationaler Druck sorgte schließlich für die Entlassung der Schüler aus der Haft.
 
Die Sicherheitslage wurde von den Einheimischen als stabil angesehen, aber einige ausländische Experten, die sich gerade zu einem mehrtägigen Sicherheitstreffen in Rumbek aufhielten, waren zurückhaltender. Südlich der Stadt sei eine wachsende Truppenkonzentration der Regierung zu beobachten. Nach vier Tagen flogen wir mit Diakonie Emergency Aid der evangelischen Kirche Deutschlands wieder zurück.

Fatih Yildiz: „Die Religion dient der Verschleierung anderer Interessen“
"Die Muslime, die wir in der UN-Schutzzone Rumbek im Südwesten des Sudan trafen, sehen sich genauso als Gegner der muslimischen Regierung in Khartoum, wie die Christen des Südens“, sagte Fatih Yildiz. „Auch sie sehen sich als Opfer der gewaltsamen Politik der Regierung und haben diese seit Jahren bekämpft. Der Konflikt im Sudan ist im Kern kein christlich-muslimischer Konflikt. Die Religion dient nur der Verschleierung anderer Interessen."

Die auf unseren Besuch im Sudan folgende Erklärung des SCIO der süd-sudanesischen Bischöfe, u. a. im Sudan Monthly Report erschienen, erregte einigen Unmut in der Süd-Sudan-Solidaritätsszene. Darauf hin erklärte die SCIO, dass unsere Reise von den Bischöfen bewusst als ein gutes Signale unterstützt worden sei.

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