NORSA

CHRISTLICH-MUSLIMISCHER DIALOG

Ab sofort finden Sie bei NORSA.NET Informationen zum christlich-islamischen Dialog im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit. Ziel soll es sein, Beratungsangebote zum Islam-sensibleren Arbeiten im Ausland zu geben.

Die Reihe der Beiträge eröffnet der deutsche Entwicklungshelfer
Erhard Brunn. Er berichtet über seine Erfahrungen im Niger und die dramatische Verschlechterung der Ernährungslage in dem westafrikanischen Staat, über seinen Besuch im Süd-Sudan und über “best case”-Beispiele.

Erfahren Sie mehr in Erhard Brunns Tagebuch

Am 19. August 2005 werden meine Frau und ich, nach zweijähriger Arbeit für den deutschen Entwicklungsdienst (DED), den Niger verlassen, der in den letzten Wochen mit seinen erheblichen Ernährungsproblemen Schlagzeilen machte. Ein erster Überblick über die Herausforderungen dieser Jahre, sowie andere Begegnungen zwischen der christlichen und der muslimischen Welt, die in folgenden Beiträgen bei NORSA vertieft werden sollen, seien mit einem Überblick auf meine Zeit im Niger gestartet.
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Kein christlich-muslimischer Konflikt
Der jahrzehntelange Krieg im Süd-Sudan war fast Zeit seiner Existenz auch ein Streitpunkt zwischen Christen und Muslimen im Norden. Denn offensichtlich war die Haltung vieler Muslime in anderen Teilen der Welt indifferent gegenüber diesem von Muslimen ausgeübten Völkermord. >
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“Verhalten optimistisch”
Über das 4. Koordinierungstreffen für christlich-islamische Friedensarbeit in Deutschland berichtet Erhard Brunn. >
Friedensarbeit

Zwischen Orient und Okzident
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels an Orhan Pamuk
Von Jörg Später

Orhan Pamuk erlebt turbulente Zeiten: Sein jüngster Roman Schnee erreicht in der Türkei eine Auflage bis zu 100.000 Stück. Die New York Times kürt das Buch Ende 2004 zum besten ausländischen Buch des Jahres. Anfang Februar 2005 erklärt Pamuk dann im Schweizer Tagesanzeiger, in der Türkei seien eine Million Armenier und 30.000 Kurden ermordet worden. Die Presse und der nationalistische Mob toben daraufhin: Pamuk wird als Agent des Westens, Verräter und Volksfeind zum Abschuss freigegeben. Im März verkündet der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Pamuk werde den diesjährigen Friedenspreis erhalten. Anfang dieses Monats schließlich wird der Autor angeklagt, die „türkische Identität“ beschädigt zu haben. Ihm droht eine Haftstrafe bis zu drei Jahren.

Pamuk scheint es ähnlich zu ergehen wie seinem Romanhelden in Schnee: Der in Frankfurt lebende türkische Schriftsteller Ka kommt getragen von einem Gefühl von Einsamkeit und Fremdheit in die nordostanatolische Provinzstadt Kars und fällt unter Kurden, Geheimpolizisten und Revolutionäre, Islamisten und Kopftuchanhängerinnen. Alle Seiten schmeicheln Ka, um ihn für ihre Interessen einzuspannen, doch niemand kann sich auf ihn verlassen. Ka, der seine Jugendliebe mit nach Deutschland nehmen will, wird aus Eifersucht am Ende Teil der politischen Intrigen, aus denen er sich eigentlich heraushalten möchte.

Pamuk ist politisch nicht so naiv wie Ka. Zwar kommentiert er die vielen Stimmen in seinem Roman nicht. Ihm geht es um den Seelenzustand in der ländlichen, dunklen, anatolischen Türkei, und er hat die großen Ideen wie den Kemalismus oder den Islamismus satt. Pamuk will der Empörung über den Westen nicht Recht geben, sie aber verstehen und erklären. Er glaubt daran, dass solange das Wesen und die Menschlichkeit anderer verdrängt und nicht dargestellt würden, es viel einfacher sei, sie ohne schlechtes Gewissen grausam zu behandeln. Der Literat ist keineswegs unpolitisch: In der Vergangenheit hat er des Öfteren politischen Mut bewiesen – bei der Verteidigung Salman Rushdies wie bei der Ablehnung des höchsten Kulturpreises der Türkei infolge der Kurdenpolitik.

Pamuk ist der postmoderne Erzähler der Türkei. In Schnee begegnen wir einem jungen Islamisten, der einen Science-Fiction-Roman schreibt, jungen gebildeten Frauen, die das Kopftuch als Ausdruck ihrer individuellen Selbstbestimmung begreifen, und säkularen Autoritäten, die den Kampf gegen den rückständigen Islam als Legitimation für Mord und Folter anführen. Pamuk ist ein Kind der städtischen, vom technologischen Fortschritt wie von der westlichen Kultur geprägten Türkei, das das Unbehagen an sich selbst ergriffen hat. Statt für ein positivistisch-rationalistisches Ingenieursleben entschied er sich für die Kunst. Die radikale Modernisierung Atatürks bedeutete für ihn das Vergessen der osmanischen und islamischen Geschichte. Pamuk ist kein Versöhnler zwischen Orient und Okzident, will aber weder das eine noch das andere auf Kosten des jeweils anderen haben.

Das alles verhindert nicht, dass Pamuk zwischen die Stühle geraten ist. Er ist zum Spielball im Machtkampf verschiedener Fraktionen in Bürokratie, Militär und Justiz geworden. Man darf gespannt sein, ob und wie die türkische Regierung auf diese Provokation einer unteren Behörde reagieren wird. Die islamistische Regierungspartei verkörpert die innere Zerrissenheit der Türkei, die sich auch in den Figuren des Romans widerspiegelt: Man möchte nach Europa und gleichzeitig eine „türkische Identität“ bewahren oder erst finden. Die kemalistische Säkularisierung und Westorientierung war zwar aufgezwungen, aber so erfolgreich, dass sich selbst die antiwestlichen Kräfte nur auf Basis westlicher Traditionen artikulieren. Der Wille zur Identität aber sucht Anerkennung, sonst schlägt er ins Ressentiment um.

Anerkennung im Westen hat derweil der bestgehasste Lieblingsautor der Türken gefunden. Ob ihn die Verleihung des deutschen Friedenspreises am 23. Oktober in Frankfurt stärkt, ist allerdings nicht sicher, denn nach der diesjährigen Diskussion um den Massenmord an den Armeniern scheint es, als dass politische Botschaften geehrt werden und nicht großartige Literatur. Pamuks Romanheld Ka wird übrigens nach seiner Rückkehr nach Frankfurt nicht gefeiert, sondern auf offener Straße erschossen.

Jörg Später, geboren 1966, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte des Historischen Seminars der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.
Foto:
Nivis

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