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Muslime gegen Gewalt durch Muslime Von Erhard Brunn Über das Ende der Geiselnahme von Susanne Osthoff hinaus bleibt eine aktuelle Tendenz er-kennbar: Muslime sind zu-sehends aktiv gegen islamistischen Terror – in Deutschland und anderswo.
Lange Zeit taten Sie sich damit schwer, nämlich sich von etwas zu distanzieren, mit dem Ihre Mitglieder in ihrer überwältigenden Mehrheit nichts zu tun haben: Die Dachverbände des deutschen Islam mit dem internationalen muslimischen Terrorismus. Doch in den letzten 18 Monaten tun sie es und angesichts immer neuer Anlässe immer öfter. Und: Es scheint plötzlich eine heilende Wirkung zu haben! Und dies nicht nur in Deutschland. Anfang bis Mitte Dezember 2005: Nadeem Elyas, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland, will sich selbst Im Austausch für die im Irak von Geiselnehmern festgehaltene Susanne Osthoff in deren Hände begeben. Und er hat die Regierungen muslimischer Nachbarländer des Iraks zu ihrer aktiven Mitarbeit bei der Geisel-befreiung aufgefordert. Ali Kizilkaya, Vorsitzender des Islamrats fordert, wie viele andere deutsche Prominente in einer von Bild am Sonntag unterstützen Aktion: „Laßt sie frei“. Die vom türkischen Religionsministerium gelenkte DITIB distanzierte sich als erste und hat mit ihrer Großdemonstration „Muslime gegen Gewalt“ vor 18 Monaten überhaupt die erste in der breiten deutschen Öffentlichkeit wahrgenommene Note dieser Art gesetzt. Bundeskanzlerin Angela Merkel kann in dieser Situation aus vollem Herzen sagen: „Ich bin sehr froh, dass die Muslime in Deutschland eindeutig Stellung bezogen haben.“ Und diese blieben weiter am Thema: Mit einer Mahnwache vor dem Brandenburger Tor unterstützte die Türkische Gemeinde in Deutschland am Abend 15. 12.2005 eine Aktion der Familie Osthoff nachhaltig. Und auch das Angebot des Zentralrats der Muslime an die Bundesregierung eine gemeinsame Delegation nach Bagdhad zu schicken, die sich eben gemeinsam (z.B. im Bemühen um ein größeres Engagement durch die muslimische Geistlichkeit des Irak) vor Ort für Susanne Osthoff einsetzt, stand bis zuletzt weiter, wie auch das Angebot von Nadeem Elyas sich gegen sie austauschen zu lassen. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble würdigte dies als „hoch anerkennenswert“. Als der Autor vor mehr als vier Jahren, am 6. September 2001, zu einem Zusammentreffen muslimischer, christlicher, unabhängiger und staatlicher Organisationen zur Auslotung von Kooperations-möglichkeiten einlud, war diesen Ideen allerdings noch fremd: Wenn Millionen von Muslimen eine neue Heimat im christlich geprägten Norden gefunden haben und dort viele soziale, politische, nicht zuletzt auch religiöse Privilegien genießen – müssten Sie dann nicht eine Vermittlungsrolle einnehmen und eine moralische Mitverantwortung übernehmen für das, was Muslime anderswo wiederholt und grausam im Namen des Islam tun? Müssten sie nicht zumindest ihr moralisches Gewicht einsetzen und den muslimisch verbrämten Terror nicht nur ächten, sondern sich bemühen auch vor Ort dagegen ihr Wort zu erheben? Anfang September 2001 waren mehrere (auch deutsche) Mitarbeiter der Hilfsorganisation Shelter Now von den Taliban (wegen Besitzes und wohl auch Weitergabe von Bibeln) in Afghanistan verhaftet worden, saßen in Khabul, unter der Drohung schwerster Strafen, ein. Zuvor hatten die Taliban buddhistische Monumente von der Bedeutung Weltkultur-Erbe zerstört. Auf den 6. September 2001 lud ich muslimische, christliche, unabhängige und staatliche Organisationen in die Hamburger Zentrumsmoschee zu einem Austausch über internationale Kooperationsmöglichkeiten in christlich-muslimischen Span-nungsgebieten (im oben genannten Sinn) ein. Im Laufe der Diskussion fragte ich den Hausherrn, den auch noch heutigen Vorsitzenden des Bündnisses islamischer Gemeinden (Norddeutschlands, BIG), Ramacan Ucar, ob nicht europäische Muslime eine Delegation bilden und nach Khabul fliegen sollten? Sollten sie nicht der Welt und den Taliban sagen, dass dies auch aus muslimischer Sicht nichts mit Islam zu tun habe? Herr Ucar antwortete, dass die Taliban primitiv seien und bestimmt keinen europäisch-muslimischen Theologen oder Intellektuellen kennen oder respektieren würden. Aber eigentlich, so Ucar, könne er nicht bestreiten, dass so eine Initiative bedenkenswert sei. Und es waren nicht-muslimische Teilnehmer, die ihre Angst um unseren Gastgeber so spontan erschreckt äußerten, dass also dies Projekt zu riskant sei, dass die Debatte damit beendet war.  Bei einem weiteren Forum in der Hamburger Zentrumsmoschee (Foto links) über Möglichkeiten der internationalen christlich-muslimischen Kooperationen sprach der ehemalige Gründer von Cap Anamur Rupert Neudeck im Februar 2003 Saudi-Arabien an. Er meinte, man müsse auch mal eine Kampagne organisieren, die das Verbot des Baus und der Unterhaltung christlicher Kirchen auf saudischem Boden problematisierte. Spontan sagte ihm Mustafa Yoldas, u. a. Vorsitzender der SCHURA, dem Dachverband Hamburger muslimischer Organisationen und wichtiger Akteur im Bündnis islamischer Gemeinden (Norddeutschlands, BIG), für so eine Aktivität seine Unterstützung zu. Erstaunlicherweise entging den im Saal vertretenen Journalisten diese Aussage. Sie taucht in keinem Artikel auf – vermutlich nicht aus bösem Willen, sondern weil sie so weit weg von den Klischees war. Die einzige Zeitschrift, die diese Anstrengungen über mehrere Jahre intensiv verfolgte und allein durch ihre Berichtserstattung sehr unterstützte, war epd-entwicklungspolitik (heute eins). Wurden diese Bemühungen in der Autoren- und Leserschaft auch sehr kontrovers beurteilt, war in der Zeitschrift dadurch zum Thema internationale Verantwortung der deutschen Muslime ein Forum entstanden, indem nicht nur über muslimische Dachorganisation diskutiert wurde, sondern in dem zumindest ein Teil von ihnen immer wieder auf diese Heraus-forderungen konstruktiv antwortete.
Muslimisch verbrämter Terror und die Krise des interreligiösen Dialogs Der 1. September 2001 zog ein großes Bedürfnis nach Dialog nach sich, brachte aber wenige langfristig tragende neue Konzepte im christlich-muslimischen Dialog unseres Landes. Im Herbst 2004 mobilisierte dann die vom türkischen Staat gelenkte DITIB Tausende ihrer Mitglieder für eine Demonstration gegen von Muslimen ausgehende Gewalt. Auch viele andere Muslime hatten zwar schon für den Frieden demonstriert, taten sich aber schwer mit einer Positionierung gegen etwas Schlechtes von Menschen der eigenen Religion, mit denen sie selbst nicht das Geringste zu tun hatten. Im Gespräch mit Mustafa Yoldas, fragte sich dieser zu jener Zeit noch, ob so eine Ausrichtung sinnvoll sei. „Warum, wir haben ja mit dem muslimischen Terrorismus nicht zu tun! Im Gegenteil: Ich engagiere mich – und nicht erst seit dem 11. September 2001 – fast genauso viel im Dialog mit den Christen, wie mit den inner-muslimischen Herausforderungen.“ Doch wenig später wurde die Menschenrechtserklärung der BIG veröffentlicht (in der sie sich vorbehaltlos zu dieser Gesellschaft und ihren Grundwerten bekennt). Bis heute ist sie einer der wenigen umfassenden Menschenrechts-erklärungen, die der deutsche Islam hervorbrachte. Die muslimischen Lichterketten in der Hamburger Innenstadt begannen und wurden an allen Advents-Samstagen des Jahres 2004 durchgeführt. Mustafa Yoldas: "Wir distanzieren uns als Muslime entschieden von Krieg, Terror und Gewalt und setzen uns für Gerechtigkeit ein! Wir lassen uns auf das Fest der Christen ein und suchen im Advent das Gespräch mit ihnen.“ Im Februar 2005 dann eine erste gemeinsame Deklaration der drei muslimischen Dachorganisationen in Deutschland (Islamrat in Deutschland, Zentralrat der Muslime in Deutschland und D.I.T.I.B), die sich in seltener Einheit für die Freilassung der ZEIT-Journalistin Guiliana Sgrena aus der Haft von Terroristen im Irak und gegen jegliche Gewaltanwendung im Namen der Religion ausprachen: „Wir Muslime in Deutschland verurteilen die Entführung aufs Schärfste und fordern die sofortige und bedingungslose Freilassung von Giuliana Sgrena.“ Darüber hinaus sprachen sich die Verbände erneut allgemein gegen Terrorismus aus: „Die Entführung von unbeteiligten Journalisten ist ein Verstoß gegen Kriegsrecht, Völkerrecht und Menschenrecht. Sie ist auch nicht vereinbar mit den Werten des Islams. Im Islam gibt es keine Entschuldigung für Terror und Gewalt gegen Unschuldige. Wer immer solche Taten verübt, findet im Islam keine Rechtfertigung. Die Verbände der Muslime in Deutschland rufen die Muslime im Irak und in der ganzen Welt auf, sich gegen den Terrorismus und für die Freilassung von Giulana Sgrena einzusetzen“, hieß es in der Erklärung. Dass es erst jetzt mit dem Aufruf zur Freilassung der Journalistin eine gemeinsame Stellungnahme gegen Terrorismus zustande kam, erklärt Nadeem Elyas damit, dass Deutschland in diesem Fall direkt beteiligt sei. Giuliana Sgrena sei Reporterin für eine deutsche Zeitung und daher habe die Verschleppung für Muslime in Deutschland jetzt eine andere Dimension. Eine andere wichtige, die theologische Ebene: Im Sommer spricht der Imam der iranischen Moschee an der Alster (Hamburg) ein Rechtsgutachten, eine Fatwa, gegen die Rechtfertigung terroristischer Akte als im Namen des Islam aus. Und damit steht der deutsche Islam in einer Entwicklungslinie mit muslimischen Dachorganisationen in vielen Teilen der Welt: Eine Fatwa gegen den islamistischen Terror kam im Juli auch aus den Reihen US-amerikanischer Muslime. In Indonesien haben seitdem führende muslimische Repräsentanten eine Fatwa gegen Terrorakte im Namen eines falsch verstandenen Dschihad erlassen. Vertreter der zwei wichtigsten muslimischen Dachorganisationen, der „Nahdatul Ulama“ und der „Muhaamadiyah“, wie auch der höchsten muslimischen religiösen Instanz, dem indonesischen Ulama-Rat, bildeten zudem eine Task-Force, um diesen Verzerrungen durch Islamisten in der Öffentlichkeit entgegenzutreten.
„Im Islam gibt es keine Entschuldigung für Terror und Gewalt gegen Unschuldige.“ (Deklaration der drei muslimischen Dachorganisationen in Deutschland)
Auch der Einsatz muslimischer europäischer Dachorganisationen für im Irak entführte Landsleute wird allmählich fast zur Normalität, vor allem mit Blick auf Frankreich und Großbritannien: Terroristen versuchten aus dem Irak heraus Konflikte zwischen Staat und Muslimen in Frankreich zu schüren. Sie wollten die von ihnen im Irak entführten französischen Journalisten Christian Chesnot und Georges Malbrunot nur frei lassen, wenn die wegen Tragens des Kopftuches aus französischen staatlichen Schulen verbannten muslimischen Schülerinnen dort wieder aufgenommen würden. Doch diese signalisierten, dass sie mit „Hilfe“ von dieser Seite nichts zu tun haben wollten. Und der in der letzten Woche erschienene Abschlußbericht der französischen Zentraldirektion des Verfassungs-schutzes zu den Jugendkrawallen in französischen Vorstädten verneint nicht nur einen Anteil der Islamisten an Entstehung und Ausbreitung der Unruhen. Sie hätten sich vielmehr ganz bewusst um eine schnelle Beendigung der Krawalle bemüht. Und um zu helfen, einen englischen Journalisten aus Geiselhaft im Irak zu befreien, reiste vor zwei Jahren eine Delegation des britischen muslimischen Dachverbands in Bagdad an. Britische Muslime setzen sich auch für die Freilassung des im Irak entführten 74-jährigen Friedensaktivisten Prof. Norman Kember ein. Mozzam Begg, selbst zwei Jahre in Guantanamo festgehalten, bat die Entführer via BBC: „Ich flehe euch an, Brüder, habt Gnade mit diesem Mann.“ Diese Entwicklungen sind miteinander verknüpft: Der Terror muslimischer Extremisten drohte auch integrationswillige Muslime Europas in die gesellschaftliche Isolation zu treiben. Die Integration wurde zusehends als gescheitert verstanden und „Multi-Kulti“ als Schimpfwort, eben für das Nicht-Mitgestalten existentieller gesell-schaftlicher Prozesse durch Gesellschaft und Regierung. In dieser Situation sahen europäische Regierungen verstärkt die dringende Notwendigkeit, repräsen-tative muslimische Dachverbände als Ansprechpartner zu finden. Und viele Muslime glauben, nur noch vereint, mithilfe eines nationalen Dachverbandes, Gehör finden zu können. In Frankreich vom Staat durchgesetzt, ist es in Deutschland vor allem eine Bemühung jüngerer muslimischer Repräsentanten selbst, schnell ernst zu machen mit der muslimischen Einheit. Mustafa Yoldas ist jetzt in rotierender Ablösung zu Nadeem Elyas, Beauftragter dieses Zusammen-schlusses für die erste Jahreshälfte 2006. Von der deutschen Öffent-lichkeit als glaubhaft aktiv gegen islamisch verbrämte Gewalt aufzutreten, wird anscheinend von manchen muslimischen Repräsentanten als Hebel für ihre Positionierung entdeckt. Für die Glaubhaftigkeit eines neuen muslimischen Dachverbandes; vielleicht aber auch um zu signalisieren, wer den besten Draht zu den deutschen Behörden hat, von denen der neue Dachverband ernst genommen werden will. Unter dem Druck der Ereignisse sind Muslime in vielen Ländern gezwungen worden, stärker Position für die freiheitlich-rechtlichen Ordnungen in denen sie leben, zu beziehen. Am Beispiel Deutschlands: Über die Position, dass sie ja nichts mit den Terrorakten fremder Muslime zu tun hatten, über die gemeinsame verbale Verurteilung durch alle muslimischen Dachverbände, den Weg auf die Straße für die Opfer des Terrors, bis hin zum Angebot sich vor Ort für das Opfer einzusetzen und sich selbst als Austauschgeisel anzubieten, ist die Dynamik gediehen. Damit ist aber eine der wesentlichen Ziele der Terroristen, die Menschen mit muslimischen und anderen kulturellen und religiösen Hintergründen dialog- und untereinander handlungsunfähig zu machen, momentan gescheitert. Somit ist etwas Zeit gewonnen. Fotonachweis: http://www.hamburg-magazin.de/st_kirche-moschee-hamburg-tempel.htm
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