Christlich-muslimischer Dialog Bereitschaft zum Perspektivwechsel Von Erhard Brunn
Der Streit um die Mohammed-Karikaturen war für fast alle von uns im Westen zunächst einmal ganz unverständlich. Karikaturen, manche bissig-witzig, andere sicher mit einem aggressiv-anklagenden Unterton. Über Geschmack lässt sich bei Karikaturen schlecht streiten. Und wenn sie nicht etwas anstößig sind, etwas anstoßen, normalerweise einen Gedanken oder eine Diskussion, haben sie sicher ihr Ziel verfehlt. Aber dass verschieden Interessensgruppen lange (September 2005 bis Januar 2006) „nachgelegt haben“ mit dem Ergebnis, an so vielen Stellen der Welt kleine Brandherde zum Zündeln zu bringen, ist zweifelsfrei erschütternd. Aber vielleicht ist die Welt dabei, die Erstehung eines neuen christlich-muslimischen Gleichgewichts in der globalen und lokalen Meinungsbildnerschaft zu erleben? Glauben wir, dass auch der friedlichste und weltoffenste Muslim (der dies nicht nur formell ist, sondern aktiv) die Karikaturen als Beleidigung ansieht. Sicher ist der Respekt für den Islam außerhalb seiner eigenen Welt in den letzten Jahren weiter enorm gesunken. Er wird mit Gewalt und anachronistischen Strukturen in Verbindung gebracht. Dass er modernisierbar ist, scheint vielen im Westen zweifelhaft. Und sollten die Mehrheitsmuslime nicht viel, viel mehr tun, um den Terrorismus, der aus den eigenen Reihen kommt, zu unterbinden? Kaum zu übersehen ist aber auch, dass der Anstoß zu den Krawallen ja im allgemeinen nicht von religiösen Führern ausging; diese versuchten vielmehr oft zu deeskalieren. In Palästina war es nicht die Hamas, die eine EU-Einrichtung stürmte, sondern Fatah-Einheiten. In Syrien und Lybien, sonst nicht für große und letztlich gewalttätige Demonstrationen bekannt, wurden die Proteste so gewaltsam, dass es in letzterem Fall sogar zu Toten kam. Und dass islamistische Kampagnen in Nordnigeria weniger mit Islam zu tun haben, als mit der Bemühung um die Machterhaltung dortiger muslimischer Eliten, seitdem sie von den Schalthebeln der Macht in Zentralregierung entfernt wurden, ist sehr wichtig, sich vor Augen zu führen. Und sind es nicht traditionelle Verbündete der USA, von denen über Jahrzehnte unbeachtet ein extrem konservativer Islam liberalen Strömungen übergestülpt wurde? Und wieder sind es die Medien, die im Mittelpunkt stehen. Der Nachdruck der Karikaturen als Ehrensache? Aber da steht auch der muslimische Geistliche in einem zweiseitigen Foto vor einem brennenden westlichen Gebäude in Beirut und wird in einem deutschen Journal als „Aufhetzer“ bezeichnet, im nächsten als „Beschwichtiger“ und im dritten als hilfloser Beobachter. Alles klar? Die Welt rückt zusammen und man kommt sich oft näher als viele es wollen. Und gestaltet wurde dieses Zusammenrücken auf nationaler und internationaler Ebene sehr lange wenig. Und wir in der christlichen Welt? Aber wer ist noch wirklich Christ? Wer würde denn Frau und Eltern hinter sich lassen und Jesus folgen? Und wer würde noch ein Kreuz auf sich nehmen? Doch wohl kaum noch einer. Da ist es allerdings provozierend, wenn selbst muslimische Intellektuelle hier sagen, sie liebten Mohammed mehr als ihre Frauen. Hier ist vor allem Ruhe gefragt und die Bereitschaft zum Perspektivwechsel. Und wer das interkulturelle Leben positiv gestalten will, darf kritisieren, muss sich aber auch kritisieren lassen. Respekt ist ein Wert, der bei uns altmodisch wirkt. In anderen Teilen der Welt spielt er aber eine große Rolle. Und hier ist der Westen ganz schlecht! Aber das internationale Leben ist nicht mehr das einer „Spaßgesellschaft“. Und die Muslime sind – wenn auch teils auf völlig überzogene, teils bigotte und dort, wo diese Missstimmungen brutal instrumentalisiert werden, auch lebensgefährliche Weise – nicht mehr hilflos. Andererseits: Wenn hier lebende Muslime immer wieder zum Ausdruck bringen, wie sehr sie die ihnen in Deutschland gewährte Religionsfreiheit schätzen (z.B. im Vergleich zur Praxis ihrer Herkunftsländer!), dann müssen sie viel mehr tun, diese Freiheiten zu schützen. Dies gilt auch für die Teile der Welt, denen sie entstammen, zu denen sie doch Verbindungen haben und wo sie muslimisch „auftanken“.
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