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WERKSTATTGESPRÄCH EINE WELT MÄRZ 2006

Berichten mit Leib und Seele – Journalismus psychologisch betrachtet
Dienstag, 14. März,  20.00 – 22.15 Uhr

Wer als Journalist in und über Entwicklungsländer, Armut und Katastrophen berichtet, braucht dafür auch ein großes Maß an Ein- und Mitfühlungsvermögen. Wieviel Nähe ist für eine einfühlsame Story notwendig, wieviel schädlich? Wo müssen Grenzen gezogen werden zu den Menschen, über deren Schicksale man berichtet? Was, wenn wieder mal die Frage an einem nagt: „Was bewirke ich eigentlich?“ Was geschieht, wenn man Betroffene in ihrer Not und Armut zurücklässt? Wie kann man sich auf erschütternde Begegnungen, Konfrontationen mit Armut, Mangel, Krankheit und ihren Opfern besser vorbereiten? Über diese Fragen tauschten sich JournalistInnen (im Foto von links Astrid Prange, ehemals Brasilien-Korrespondentin, Sabine Hammer, Südost-Asien-Expertin und Stefan Kreutzberger von Connecting Worlds) mit den Referentinnen Monika Hoegen und Cinur Ghaderi aus. > Mehr ...
Monika Hoegen,
freiberuflich tätige Journalistin für Print und Hörfunk; Schwerpunkte: Entwicklungspolitik, Soziales, politische und soziale Reportagen, Alltagsberichte aus Lateinamerika, Asien und Afrika. > Homepage Monika Hoegen
Cinur Ghaderi, Diplom-Psychologin im Psychosozialen Zentrum für Flüchtlinge; Journalistin (WDR, Funkhaus Europa). Die Kurdin kam 1979 aus dem Irak nach Deutschland. > Interview mit Cinur Ghaderi über den Entführungsfall Osthoff

Wie kommen Journalisten mit dem Leid, das sie sehen, zurecht?

”Wir hatten auf Bergen von Felsbrocken gestanden und dabei gewusst, dass darunter Häuser, eine Kirche und vor allem immer noch die Leichen zahlreicher vermisster Opfer liegen.”
Monika Hoegen, Journalistin, 1999 nach einer der schwersten Naturkatastrophen in Venenzuela


Sie berichten über Armut, Hunger, Krieg und Sterben. Sie liefern uns Bilder von Not und Elend. Doch haben wir, die Zeitungsleser, Radiohörer und Fernsehzuschauer, uns schon einmal gefragt, wie Reporter, Fotografen und Kameraleute mit diesem Leid zurecht kommen? Mögen sie körperlich unversehrt bleiben, so ist es längst nicht sicher, dass ihre Seele keine Verletzungen davonträgt.

“Erst wurde den Menschen das Leben gerettet, dann wurden sie abgeschoben.”
Christoph Fleischer, Journalist, 2004 bei der Rettung schiffbrüchiger Flüchtlinge im Mittelmeer auf der Cap Anamur

Wieviel Nähe und Empathie braucht ein Reporter, um eine gute Story zu liefern? Sollen Journalisten den Menschen, über die sie berichten, auch direkt helfen? Diese Frage trieb Elias Bierdel um, der als ARD-Korrespondent über den Kosovo/Jugoslawien-Krieg berichtete. Nach dem Krieg hängte er seinen Job an den Nagel und arbeitete für das Notärzte-Komitee Cap Anamur.
Was bewirkt die eigene Berichterstattung? Befriedigt sie Sensationsgier oder führt sie zu karitativem Engagement?
Wie gehen Journalisten mit Traumata um? Brauchen Sie eine psychotherapeutische Begleitung? Wie können sie psychisch gesund bleiben?

“Auf eine Situation vorbereitet zu sein, ist für Journalisten ein großer Schutzfaktor. Sie sollten im Kollegenkreis über ihre Erlebnisse und Gefühle sprechen.”
Cinur Ghaderi, Psychotherapeutin im Psychosozialen Zentrum für Flüchtlinge in Düsseldorf und Journalistin

Aber beides ist oft nicht möglich. Oft schicken Redaktionen oder Hilfsorganisationen Journalisten und Fotografen von einer Stunde zur anderen zur Berichterstattung in ein Katastrophengebiet. Für Monika Hoegen und den Fotografen Jürgen Escher, der sie nach Venezuela begleitet hat, stellt sich immer wieder die Frage: ”Wie beschreibt man eine Naturkatastrophe von fast unbeschreiblichem Ausmaß? Wie bereitet man das Unfassbare nachvollziehbar für die auf, die Zehntausende von Kilometern weiter nördlich in Weihnachtsstimmung um den Tannenbaum sitzen oder schon glanzvolle Millennium-Feiern vorbereiten?

“Journalisten werden zum Zielobjekt von Milizen. Dann hat man es nicht mehr mit einer Sekundär- sondern mit einer Primärtraumatisierung zu tun.”
Sabine Hammer, Reporterin in Asien und Beraterin der Regierung von Osttimor


Auf dem Rückflug nach Deutschland lassen Monika Hoegen und Jürgen Escher das Erlebte noch einmal Revue passieren. “Viele der Bilder von Verwüstung, Zerstörung und Trauer erobern sich jetzt erst ihren festen Platz in unseren Köpfen - und werden wohl auch von dort nicht mehr zu verdrängen sein. Sie machen die Rückkehr in unsere intakte Heimat nicht leicht. Zumal wir, kaum wieder auf deutschem Boden, auch wieder mit deutschen Alltagsproblemen konfrontiert werden - und mit Menschen, für die das Geschehen in Venezuela einfach weit weg und damit wenig interessant ist.”

“Entscheidend ist, dass eine Geschichte mit Herz und Verstand gemacht wird.”
Arnim Stauth, WDR-Korrespondent, geriet in Afghanistan in die Schusslinie zwischen Kämpfern der Nordallianz und der Taliban

Die BBC hat inzwischen ein Trauma-Training in ihre Journalisten-Ausbildung integriert. Zusammen mit dem Londoner Dart Centre werden zukünftige Redakteure und Manager in Rollenspielen auf den emotionalen Ernstfall vorbereitet. Auch in Deutschland ist das Interesse an diesem Thema erwacht. Arnim Stauth, der derzeit in der WDR-Auslandsredaktion Fernsehen arbeitet, nahm kürzlich als einer von 57 Interessierten an der Zentralen Fortbildung der Programmmitarbeiter von ARD und ZDF in Hannover teil. Der Einladung zu der Kick-Off Konferenz mit dem Titel “Trauma und Journalismus” folgten 57 Neugierige. Die Organisatorin der Konferenz Fee Rojas, selbst Journalistin und Therapeutin, war erfreut über die große Resonanz: "Das Jahr 2005 mit seinen großen Naturkatastrophen von Tsunami über Katrina bis Erdbeben Pakistan hat viele Reporter und auch manche Auslandschefs sensibilisiert."
Markus Dufner / Maria Benning

Wie (un)sensibel
gingen Journalisten mit Susanne Osthoff um?
> "... war ich nicht
freier Mensch"

Das ZDF-Interview mit Susanne Osthoff im Wortlaut
> Das (Vor)Gespräch
von heute-journal-Moderatorin
Mariette Slomka (FAZ)

> Bearbeitet (FAZ)
> Die  medialen  Zerrbilder über Susanne Osthoff (NDR)
> "Verstehen Sie?" (Telepolis)

[WEW März 06]