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NAMIBIA

Teufelskreis AIDS: Die stille afrikanische Zeitbombe
Von Konny Schmidt, Windhoek/Namibia
(ipo) Nadeshi liebt ihren Freund Mbewu sehr. Die beiden sind erst 16 Jahre alt, aber Mbewu sieht wirklich gut aus, besitzt einen umwerfenden Charme und alle Mädchen wollen mit ihm gehen. So dauert es nicht lange, bis Nadeshi mit Mbewu schläft. Über mehrere Monate hinweg sind die beiden sehr glücklich miteinander, aber dann bekommt Nadeshi plötzlich einen hässlichen Ausschlag im Gesicht, der nicht mehr weggehen will. Und schließlich verlässt Mbewu seine Freundin. Nadeshi wendet sich an einen Arzt und nach einem Bluttest wird klar: Nadeshi hat AIDS.

Sie kann und will es nicht glauben, sie weint nächtelang, sie erzählt es ihren Freundinnen, doch diese distanzieren sich zunehmend von ihr – schließlich wollen sie sich nicht anstecken. Nadeshis Vater schlägt sie aus Wut und Verzweiflung, ihre Geschwister entfernen sich von ihr – alle haben Angst, sich mit der tödliche Krankheit zu infizieren. Medizin ist teuer und Nadeshis Vater hat nur gelegentlich Arbeit. Nach einem Jahr voller Schmerzen, Ängste und Einsamkeit stirbt Nadeshi. Sie wurde nur 17 Jahre alt. Mbewu hingegen lebt noch immer, er hat wechselnde Freundinnen und die meisten von ihnen wird er mit dem tödlichen Virus infizieren.

Ein Einzelschicksal? Keineswegs. In Afrika tickt die Zeitbombe AIDS unaufhörlich. Immer mehr junge Menschen sterben an dem Virus, noch lange, bevor ihr Leben richtig begonnen hat. Namibia gehört zu den fünf am heftigsten betroffenen Ländern der Welt. Laut Statistik ist jeder fünfte Einwohner zwischen 15 und 49 Jahren HIV-infiziert. In einigen Regionen ist nahezu ein Drittel der untersuchten schwangeren Frauen HIV-positiv. Rund 230.000 Menschen sind laut UNICEF-Hochrechnungen bereits erkrankt, AIDS ist die häufigste Todesursache in Namibia. Doch nicht immer wird AIDS als solches deklariert, vielmehr sprechen die offiziellen Totenscheine von Tuberkulose oder anderen Krankheiten, die vorwiegend bei geschwächtem Immunsystem auftreten. So verwischen sich die Statistiken und stützen unabsichtlich die Unbekümmertheit der Menschen im Umgang mit dem tödlichen Virus.

Viele Männer schlafen mit häufig wechselnden Freundinnen, schützen weder sich noch ihre Partnerinnen, machen keinen HIV-Test und übertragen das Virus aus Nachlässigkeit oder Unkenntnis unkontrolliert weiter. Viele von ihnen sterben, bevor sie das 20. Lebensjahr erreicht haben. Immer mehr Familien bestehen aus alten Menschen und Kindern, da ihre direkten Nachkommen an der Immunschwächekrankheit gestorben sind und niemand sonst für die Versorgung ihrer Enkelkinder verfügbar ist. Traditionelle Familienstrukturen zerbrechen, in Dörfern und Städten herrscht die Angst.

AIDS/HIV-Programme gibt es viele, aber längst nicht alle erreichen die Menschen besonders in den nördlichen Gebieten Namibias, wo die AIDS-Rate extrem hoch ist. Rund 43 Prozent der Bewohner der Caprivi-Region sind laut offizieller Statistiken bereits infiziert, Tendenz steigend. Doch AIDS ist ein Tabuthema, mit dem sich niemand gerne auseinandersetzt. Besonders gefährdet sind Mädchen und junge Frauen, die in der Regel nicht dazu erzogen werden, über Sexualkontakte und -Praktiken zu reden bzw. diese selbst zu bestimmen. Die männerdominierte Gesellschaft Afrikas lässt eine Aufklärung von Mädchen und Frauen nicht zu und so wissen die meisten von ihnen besonders in ländlichen Strukturen nicht einmal, dass Kondome vor HIV schützen. Auch wehren sich die meisten Männer, Kondome zu verwenden oder setzen sie trotz Aufklärung durch entsprechende Kampagnen und Workshops falsch ein: da wird die Spitze des Kondoms abgeschnitten, um den natürlichen Fluss zu erhalten oder sie werden mehrfach verwendet. Und dies, obwohl bei vielen staatlichen Stellen und Organisationen Kondome kostenfrei erhältlich sind. Um den Teufelskreis von AIDS zu durchbrechen, tut noch viel aktive Aufklärung not.

„Wir predigen nicht nur von Gott. ... Wenn ein Paar getraut werden möchte, raten wir beiden Partnern, einen AIDS-Test zu machen.”
Ein wesentlicher Multiplikator für die Aufklärung über HIV und die Betreuung der Kranken sowie deren Familien sind die Kirchen. Längst haben diese erkannt, dass die unheilbare Krankheit sich mit rasender Geschwindigkeit ausbreitet und, sollte nichts unternommen werden, mehr und mehr Menschen dahinrafft.

„Wir predigen nicht nur von Gott, sondern helfen den Menschen in unseren Gemeinden aktiv, erklärt Pater Franz Houben im Windhoeker Büro von Erzbischof Liborius Nashenda Ndumbukuti: „Familienplanung gehört nicht zum Programm der katholischen Kirche, aber wenn ein Paar getraut werden möchte, raten wir beiden Partnern, einen AIDS-Test zu machen. Wenn dann einer der beiden infiziert ist – meist sind es die Männer – raten wir zur Verwendung von Kondomen. An der Ursache selbst können wir leider viel zu wenig ändern, aber wir unterstützen die Betroffenen, wo immer es uns möglich ist“, so Houben, „und zwar so unbürokratisch wie möglich. Unser ABC-Programm macht deutlich, um was es geht: A für Abstinenz, B für be faithful (Treue) und C für Condom. Im schlimmsten Fall kommt D hinzu: Death (Tod).“

So setzt die Catholic Aids Action (CAA) in den Gemeinden junge Leute als Berater ein, die die Betroffenen und auch deren Familien betreuen und begleiten. Diese jungen Betreuer  - mittlerweile sind rund 1.700 von ihnen im landesweiten Einsatz – werden drei Monate lang in Theorie und Praxis ausgebildet, bevor sie vor Ort zum Einsatz kommen. Oft sind sie selbst betroffen, indem sie Verwandte mit HIV haben und wissen, welche Probleme entstehen, wenn ein Familienmitglied erkrankt. Die Betreuer der CAA werden oft in ihren eigenen Dörfern oder Gemeinden eingesetzt, da sie mit den vorhandenen Familien- und Dorfstrukturen vertraut sind. Ausgesprochen wird das Wort AIDS dennoch selten, aus Angst oder Scham, vielmehr werden Umschreibungen wie „die modere Krankheit“ verwandt.

Gemeinsam mit lokalen Kirchen und staatlichen Gesundheitseinrichtungen versorgt die CAA die Betroffenen medizinisch und hat Heimpflegdienste eingerichtet, so dass die Betroffenen in ihren Familien bleiben können. Denn die psychische Situation der Kranken spielt beim Verlauf von AIDS eine ausgeprägte Rolle: „Positiv“ zu leben und offen mit ihrem HIV-Status umzugehen soll Patienten und ihre Familien dazu motivieren, der weiteren Ausbreitung der Krankheit vorzubeugen.

Besonders betroffen sind Kinder und Jugendliche, deren Großeltern und andere Verwandte nicht für sie sorgen können, Sei es, weil diese bereits zu viele Kinder ernähren müssen oder weil niemand aus der Familie mehr lebt. So entstehen landesweit immer mehr Kinderhaushalte. Die meisten von ihnen leben in großer Armut, denn wo der Ernährer fehlt, gibt es wenig Hoffnung. Staatliche Zuschüsse gibt es nicht und diese Kinder sind auf Unterstützung von Kirchen und Organisationen dringend angewiesen.

Als erschwerender Faktor kommt hinzu, dass es keine offiziellen Statistiken und Angaben gibt, keine Zählungen und keinen Überblick, wo und wie AIDS-Waisen leben. So wird zwar punktuell geholfen, aber gezielte Maßnahmen, die Betroffenen zu unterstützen, sind beim derzeitigen Stand kaum möglich.

Unüberschaubar ist auch die Anzahl der Kinder und Jugendlichen, die ihre jüngeren Geschwister versorgen und betreuen und daher keine Schule besuchen können. Die fehlende Bildung und Aufklärung jedoch trägt zur weiteren Ausbreitung der Immunschwächekrankheit bei. – Ein Teufelskreis, den zu durchbrechen einer Sisyphos-Arbeit gleichkommt.

18.000 Waisen und Halbwaisen hat die Catholic Aids Action landesweit bisher registriert, von 50.000 spricht die internationale Organisation UNICEF. Und dies dürfte noch immer die Spitze des Eisbergs sein. Wo immer es möglich ist, werden durch die CAA Schulgelder gezahlt, werden Großeltern unterstützt, die bis zu 20 und mehr Enkelkinder alleine versorgen müssen.

Bücher und Broschüren, Poster und Handzettel geben die Kirchen und Organisationen heraus, meist in bis zu sieben verschiedenen Sprachen, um möglichst viele Betroffene und ihre Familien zu erreichen. Seminare und Workshops sollen Licht ins Dunkel bringen und dort aufklären, wo Analphabetismus und Unwissenheit vor den Gefahren immer mehr Menschen in die Katastrophe stürzen. Viele Männer und Frauen lassen erst gar keinen HIV-Test machen und verbreiten das Virus unwissentlich und oft auch unbekümmert weiter.

So macht die internationale Organisation Lifeline – Childline durch dramaturgische Theaterstücke in Schulen auf weit verbreitete Probleme wie AIDS und häusliche Gewalt aufmerksam.

Und immer wieder meint man, es sei noch lange nicht genug getan, als helfe vieles gutgemeinte wenig, wenn die Betroffenen selbst nicht erkennen, wie ernst die Problematik ist.

Aufklärungsprogramme existieren inzwischen bei nahezu allen kirchlichen Institutionen und der Lutherische Weltbund (LWB) beschloss gar anlässlich seiner internationalen Konferenz im November 2005 in Windhoek, dass die afrikanischen Kirchen sich zusammenschließen und gemeinsam gegen die Pandemie vorgehen müssen, unter anderem durch eine entsprechende Internetseite mit ausführlichen Informationen: Informieren, aufklären, sich verknüpfen und gegenseitig unterstützen lauten die Zauberworte.

„Ohne Kommunikation ist keine Gemeinschaft möglich“, so der Konsens des LWB, und beschloss, ökumenisch zu arbeiten und den interreligiösen Dialog zu suchen, um tragfähige Beziehungen und Zusammenarbeit für Frieden und Entwicklung zu fördern und vor allem auch gemeinsam gegen HIV anzugehen.

„Mit der Gründung eines lutherischen Rates für alle Länder Afrikas können wir gemeinsam die Probleme unseres Kontinents bewältigen“, erklärte der namibische Bischof und LWB Vize-Präsident Dr. Zephania Kameeta.

„Der Schutz vor Krankheiten und die Aufklärung zur Prävention zählt zu den vordringlichsten Aufgaben der Kirche“, so LWB-Generalsekretär Pfarrer Dr. Ishmael Noko. „Jeder Einzelne von uns ist von HIV und AIDS betroffen, durch unsere Nachbarn, unsere Familien, unsere Gemeinden. Wir alle müssen Verantwortung übernehmen. Die Kirche spielt heute eine große Rolle im Kampf gegen AIDS, und wir müssen uns selbst erneuern, wenn wir überleben wollen. Wir wollen erreichen, dass wegen AIDS niemand mehr sein Haus oder seinen Job verliert. Wir dürfen nicht länger glauben, dass wir Frieden in Afrika haben. Nur gemeinsam haben wir eine Zukunft.“

So arbeitet Pfarrerin Marie Barnett aus Sierra Leone seit Jahren mit jungen Frauen und Mädchen zusammen, um aufzuklären und aktiv zu helfen. „Preach and Teach“ nennt Barnett ihr Programm, mit dem die Ausbreitung der Krankheit eingedämmt werden soll: „Wer nicht weiß, wie gefährlich und tödlich AIDS ist, kann nicht helfen, es zu stoppen“; so Barnett.

Für Namibia kann man sich nur wünschen, dass offener und transparenter mit dem Thema HIV und AIDS umgegangen wird, und zwar so schnell als möglich. Denn AIDS fragt nicht nach Einkommen, Ausbildung oder Herkunft; die Krankheit betrifft jeden Einzelnen von uns.

Milch statt Cappuccino - Soforthilfe für Namibia
Mütter mit AIDS brauchen unsere Hilfe. Sie brauchen Milch, da sie ihre Kinder nicht stillen dürfen, denn durch die Muttermilch würden die Kleinen den HIV-Virus bekommen. Wenn sie nicht stillen, müssen die Babies verhungern. Wir helfen!

Spendenkonto Child Care Afrika Soforthilfe:
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