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FORUM Köln

Zwischen Hoffnung und Resignation
Eine bunte Besetzergruppe möchte den Abriss des Barmer Viertels in Köln verhindern und ist drauf und dran, den unheiligen Klüngel aus Politik und Wirtschaft zu demaskieren
Von Markus Dufner
Köln – „Freiräume schaffen“ – das Graffito auf der schmutzig-beigen Fassade scheint im Widerspruch zu den zugemauerten Fenstern zu stehen. Auf der gesamten Länge des viergeschossigen Häuserblocks gibt es im Erdgeschoss keine „Freiräume“ mehr.
Bis vor wenigen Jahren standen die Häuser an der Barmer Straße unter Denkmalschutz. Zwar sind sie keine altehrwürdigen Patriziervillen, wie man sie in Köln noch findet, aber für die Domstadt dennoch ein Meilenstein des Wohnungsbaus. Das Karée wurde zwischen 1913 und 1916 als bezahlbarer Wohnraum für Postangestellte errichtet und bot mit seinem mehrere hundert Meter langen Innenhof den Bewohnern eine Oase der Ruhe.
Damit ist es vorbei. Der Denkmalschutz ist wegen „höherrangiger Interessen“ aufgehoben, die meisten Bäume im Innenhof sind gefällt
, und sämtliche Altbewohner des Barmer Viertels sind umgesiedelt worden, weil sie der geplanten Nutzung im Wege standen. Vor vier Wochen sind um die 50 neue Bewohner eingezogen, und es werden ständig mehr.
„Unser Protest richtet sich dagegen, dass preiswerter Wohnraum vernichtet wird“, begründet Elke (im Foto links) die Hausbesetzung. Die 48-Jährige hat sich ihre Wohnung mit Balkon und Sitzbadewanne gesichert, hält sich aber die meiste Zeit in einem Bauwagen auf dem Barmer Platz auf, der als Informationszentrum der Besetzer dient. Der ist leichter zu heizen als der von der Strom- und Wasserversorgung abgeklemmte Häuserblock. Im Bauwagen sitzt auch Thomas, Mitte 20, eine Art Pressereferent der Besetzer. Er hat schon bei Hausbesetzungen in Düsseldorf und Aachen mitgemacht und findet, dass sich im Barmer Block eine „ganz bunte Truppe“ eingenistet hat.
Zu der gehört auch Lüder, 65. Bis November letzten Jahres war er noch Beamter in der Bundesagentur für Außenwirtschaft. Als der Pensionär in der Zeitung von der Besetzung las, packte er seine Sachen und zog ins Barmer Viertel. „Für mich ist es ein Skandal erster Güte, dass man 381 intakte Wohnungen einfach kaputt machen will, bevor man weiß, was man mit dem Gelände vorhat.“
Elke gießt lauwarmes Wasser in die Plastiktassen. Seit einem Schlaganfall vor sechs Jahren ist sie „Erwerbsunfähigkeitsrentnerin“. „Mein Vermieter hat mir unterstellt, ich sei ein Messie und wollte mich rausklagen. Jetzt bin ich´s leid und möchte hier leben, wohnen und arbeiten“ – auch wenn „die Stimmung zwischen Hoffnung und Resignation schwankt“.
Sämtliche zur Straße liegenden Haustüren des Barmer Viertels sind von innern verbarrikadiert. Nur durch eine blau, gelb, rot und grün umrandete Haustür an der Deutz-Mülheimer Straße führt der Weg zu den Besetzern. Dadurch können sie einigermaßen den Überblick behalten, wer sie besucht. Die erste vom Flur abgehende Erdgeschoss-Wohnung haben die Besetzer als Zentrale mit Teeküche, und Gruppenraum eingerichtet. An der Graffiti-gesprenkelten Wand hängt ein goldgerahmtes Bild, auf dem die Mutter Gottes das Jesukind liebevoll im Arm hält. In einigen Stunden wird hier die Vollversammlung der Besetzer stattfinden. „Wer nicht kommt, der fliegt“, verkündet ein Typ mit Pelzmütze und betont die Wichtigkeit des Plenums: „Wir werden alles diskutieren: die Gewaltfrage und wie wir mit der Polizei umgehen. Wir wollen keine Gewalt, wir wollen deeskalieren.“
„Wenn hier am Wochenende Part
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oder Konzert ist“, erklärt Thomas, „weiß man nicht so genau, wer alles rumläuft. Am Samstag ist durch einen Nazi-Punk eine Keilerei entstanden.“ Der Besetzer mit Pelzmütze ist der Auffassung, man werde im Barmer Viertel „von morgens bis abends bedroht. Wir haben hier die rechte Szene im Haus. Einer der Besetzer habe schon mal einen Cricket-Schläger ins Gesicht bekommen. Die Randalierer gehen hier mit der Axt rein.“
Sabine bringt die Diskussion wieder zurück auf die lokalpolitische Ebene. „Es muss doch irgendjemand aufstehen und sagen, was in Köln läuft. Wir haben hier in Windeseile Gegendruck erzeugt, aber wir bräuchten etwas mehr Zeit.“ Die 30-jährige Pädagogin blickt „mit totalem Respekt“ auf die Ratssitzung am 4. April, bei der sich die Zukunft des Barmer Viertels entscheiden könnte. SPD und CDU, seien geschlossen für den Abriss, und auch die Fraktions-Chefin der Grünen, Barbara Moritz, sei trotz des Störfeuers der Parteibasis dafür. Allein die Linksfraktion hat sich eindeutig gegen den Abriss ausgesprochen.
Manche der Besetzer fürchten, dass die Ratsmitglieder einen Entschluss ohne die notwendige Sachkenntnis fällen. Rainer Kippe von der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim (SSM), einer der politischen Köpfe hinter der Hausbesetzung, sagt, dass viele SPD-Leute die Wohnungen im Barmer Viertel für unbrauchbar hielten, obwohl sie sie gar nicht angeschaut hätten. Wer vor Ort ist, kommt zu einem ganz anderen Schluss. Alle Fenster im Barmer Block haben einen Kunststoffrahmen und sind wegen des nahen Deutzer Bahnhofs schallisoliert. Das Dach befindet sich in gute
m Zustand. Viele der Badezimmer sind gefliest, haben Wannen und scheinen erst vor wenigen Jahren modernisiert worden zu sein. Auffällig sind die Löcher in den Dielen und herausgetrennte Kupferrohre in einigen Wohnungen. Für diese Schäden seien der Erbbauverein Köln, früherer Eigentümer des Barmer Blocks, und Plünderer verantwortlich, ist von den Besetzern zu hören.
Jusos und Grüne Jugend proben derzeit den Aufstand gegen die etablierten Parteimitglieder und haben sich an der Hausbesetzung beteiligt. In einem offenen Brief an die SPD-Ratsfraktion bitten die Jungsozialisten die „lieben Genossinnen und Genossen“ dringend, keiner „überhasteten Entscheidung über einen Abriss der Wohnungen“ zuzustimmen.  „Wenn Rot-Grün die besetzten Häuser räumen lässt, dann müssen sie gegen ihre eigenen Leute vorgehen“, sagt Rainer Kippe mit einem leichten Schmunzeln, das andeutet, dass er sich ein solches Szenario kaum vorstellen kann. „Wenn der Rat auf den Abriss verzichtet, kommen wir ihm insofern entgegen, dass wir ihn nicht vorführen.“
Das geplatzte Mammut-Projekt im Barmer Viertel, das viele Bürger bisher noch als eine Serie von Pleiten, Pech und Pannen sehen, könnte die Öffentlichkeit bald schon als millionenschweren Bau-Skandal wahrnehmen, an dem der unheilige Klüngel aus Stadtverwaltung, Politik und Wirtschaft schuld ist. Das Filetgrundstück zwischen Deutzer Bahnhof und Messe, in Sichtweite des Kölner Doms, hatte die Stadt vor fünf Jahren für 66 Millionen Euro in der Hoffnung gekauft, es mit Bürotürmen, einem ICE-Bahnhof, einem Kongresszentrum und einem neuen Messe-Eingang zu bebauen. Als die UNESCO drohte, dem Dom dann den Status des Weltkulturerbes zu entziehen, gaben die Kölner die Pläne murrend auf. Die Folge: Die Stadt wird bei einem Verkauf an Investoren, die auf dem Gelände nur noch flache Gebäude und Parkplätze errichten dürfen, gerade mal einen Bruchteil der Kaufsumme erzielen. Zum Schleuderpreis von 16 Millionen Euro soll nun der größte Teil des Geländes verkauft werden, obwohl allein der Bodenwert auf 23 Millionen Euro veranschlagt wird. Auf alternative Vorschläge für eine Zwischennutzung des Barmer Block sind maßgebliche Politiker und die Stadtverwaltung bisher nicht eingegangen. Zum Beispiel könnte sich das Kölner Studentenwerk vorstellen, in einem Teil der Siedlung Studentenwohnungen einzurichten.
Immer wieder sind Besetzer mit Kanistern unterwegs, um Wasser zum Kochen und Benzin für die kleinen Generatoren zu holen. Am Anfang der Besetzung lagen die Außen- und Innentemperaturen noch um den Gefrierpunkt.  „Da habe ich gemerkt, dass ich zu wenig Klamotten dabei habe“, erzählt Yvonne, eine 19-Jährige Studentin, die sich in der Porzer Selbsthilfe gegen Wohnungsnot engagiert. Sie empfindet die Hausbesetzung,  ihre erste, als „viel Arbeit. Es gibt Leute bei uns, die nicht einfach sind. Unsere Gemeinschaft ist sehr individuell.“
Seit zwei Wochen ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen die Stadt Köln. Rainer Kippe und sein Kollege vom SSM, Martin Massip, haben Strafanzeige gestellt wegen „des Verdachts auf Veruntreuung kommunaler Haushaltsmittel bezüglich des Barmer Viertels“. Kern des Vorwurfs: „Die Stadt hat mit öffentlichen Mitteln spekuliert und finanzielle Risiken für die Messe-Gesellschaft übernommen. Das darf sie aber nicht, da diese privatrechtlich organisiert sei. Massip, mit einem mächtigen Rauschebart à la Karl Marx ausgestattet, sekundiert: „Erst hat die Stadt das Barmer Viertel grundlos gekauft, jetzt will sie es grundlos abreißen.“
Elke rekelt sich vor dem warmen Ofen im Bauwagen. „Jeder Tag, den wir nicht geräumt werden, ist ein Hoffnungsmoment.“ Und dann fällt ihr noch eine Geschichte ein, die eigentlich nichts anderes als ein gutes Omen sein kann. „Gestern Nacht hat ein Kampfhund an meiner Seite gepennt. Der war früher Polizeihund und ist zu uns übergelaufen.“
Fotos: NORSA, Schäl-Sick-Online

 


Das sagen die Hausbesetzer

Sozialistische Selbsthilfe Mülheim (SSM)

Besetzungen im Barmer Viertel Köln-Deutz !!!
Kölner Sozialforum


”Die Hausbesetzer”
5-teilige RTL-Reihe


Eine Rettung ist noch möglich
Hintergrund in der Neuen Rheinischen Zeitung

Neuer Streit ums Barmer Viertel
(KStA, 17.03.06) - Die Stadt droht dem Vertragspartner, der keiner mehr sein will.
Der Abbruch des seit einigen Wochen besetzten Barmer Blocks in Deutz sorgt für Streit. Der Erbbauverein Köln, der als ehemaliger Eigentümer die Arbeiten organisieren sollte, hat seinen Vertrag gestern gekündigt. Außerdem hat der Verein das Besitzrecht an den 381 Wohnungen aufgegeben. „Damit obliegt die Verpflichtung zur Räumung und zum Abbruch der Gebäude der Stadt Köln“, sagte Vereinsgeschäftsführer Uwe Neuhaus. Die Folge: Die Hausbesetzungen wären damit Sache der Stadt. > Mehr ...

Streit um Geister-Siedlung in Köln
Stadt Köln will intakte Wohnungen abreißen lassen
Von Frank Überall
(WDR, 16.03.06) Die Idee ist so einfach wie paradox: In Köln soll ein ganzer Stadtteil dem Erdboden gleich gemacht werden, ohne dass es Pläne für eine neue Bebauung gibt. Die Stadt Köln und die bisherigen Eigentümer der Wohnungen streiten sich jetzt, wer für die Abriss-Posse Verantwortung trägt. > Mehr ...

Besetzung im Barmer Viertel
(KStA, 06.06.06) - 50 Männer und Frauen drangen aus Protest gegen den geplanten Abbruch in leer stehende Häuser ein.
Um gegen den Abbruch des Barmer Viertels zu protestieren, haben rund 50 Menschen am Samstag in Deutz mehrere Häuser besetzt. Nach Polizeiauskünften handelt es sich um ein Haus in der Lenneper Straße und eines an der Deutz-Mülheimer Straße. Die Männer und Frauen hätten am Samstagabend eine Kellertüre im Hinterhof aufgebrochen und seien so in die Häuser gelangt, sagte ein Polizeisprecher. > Kölner Stadt-Anzeiger

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